Benjamin Ulrich stellte Wolf Mangler im Juli 2012 schriftlich einige Fragen zum Thema „Tod und Wiedergeburt“.
Kurze Angaben zur Person: Wolf Mangler, 59 Jahre, verheiratet, arbeitet Vollzeit in der psychiatrischen Pflege und Ausbildung, praktiziert Diamantwegbuddhismus seit 1985, wohnt im Buddhistischen Zentrum Basel, ist engagiert in der buddhistischen Sterbebegleitung, ist regionaler buddhistischer Lehrer
* Welche persönliche Bedeutung hat das Thema Sterben für Dich und wie gehst du damit um?
„Schon als Kind versuchte ich, die Welt in all ihren Facetten zu entdecken. Ich erinnere mich noch sehr genau an diese Abenteuer. Einmal lag ich nachts länger wach, als es „sehr knapp“ ausgegangen war und Gedanken sich drängten: Du hättest das Leben verlieren können, wie wäre es dann mit dir weitergegangen? Wohin gehen wir nach dem Sterben? Ich habe ja noch gar nicht richtig gelebt. Für was lebt man eigentlich? Warum stirbt der eine früh (wie ein Klassenkamerad), der andere mitten im Leben bei einem Unfall und andere können „ewig“ nicht gehen?“
„Immer wieder wurde ich über die Jahre mit Sterben und Tod konfrontiert. Sei es im Beruf oder in nahen Verbindungen wie den Eltern, und ich suchte nach Antworten und Lösungen.“
„‚Gottes Wille‘ und die Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften befriedigten oder genügten da nicht wirklich.“
„‚Haben oder Sein‘ (Erich Fromm) war ein erstes Schlüsselbuch. Nach einiger „Wanderzeit“ landete ich beim Buddhismus und fand verblüffend klare und einleuchtende Antworten dazu. Heute spüre ich eine tiefgehende Sicherheit und wohltuende Klarheit, wenn es um das Thema Sterben geht, bei anderen und bei mir selbst. Da bietet der Diamantwegbuddhismus fundiertes Wissen sowie Erfahrungen und Möglichkeiten, die man jedem gönnt.“
* Wie denkst du wird der Tod allgemein in unserer Gesellschaft thematisiert? Was kann der Buddhismus aus deiner Sicht für unsere Gesellschaft beitragen?
„Meines Erachtens sind in den letzten Jahrzehnten das Interesse und die Offenheit gegenüber Sterben und Tod deutlich gewachsen. Es gibt heute eine Fülle von Informationsmöglichkeiten. In der pflegerischen Ausbildung widmet man eine ganze Woche dieser Thematik. Hilfreiche Konzepte wie „Sterbephasen“ von Kübler-Ross bieten Unterstützung beim Begleiten von Sterbenden.“
„‚Ich habe nichts dagegen zu sterben. Ich möchte bloss nicht dabeisein, wenn’s passiert‘ (Woody Allen), widerspiegelt wohl die ehrliche Unsicherheit ganz vieler.“
„Was genau passiert mit uns, wenn wir sterben? Was erwartet uns nach dem Tod? Da stehen viele wie vor einer „Black Box“ oder vertrauen sich einem diffusen Glauben an. Ich war immer wieder erstaunt, wie hilflos und unsicher bedeutende, von mir geschätzte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wirkten, wenn sie über das Thema „Sterben und Tod“ in Talksendungen gefragt wurden.“
„Buddhas Belehrungen sind zu diesem Thema sehr aufschlussreich und weitreichend. Sie können einem Interessierten viel Klarheit und Lebenskraft vermitteln und viel menschliches Potential freisetzen, das sonst durch Zweifel und sogar Ängste gebunden bliebe.“
„Mein Lehrer Lama Ole Nydahl drückt es in seinem Buch „Von Tod und Wiedergeburt“ folgendermassen aus: Allen Schülern, die die Belehrungen zum zeitlosen Geist, zum Sterben, zum Tod sowie zur Wiedergeburt und vor allem die Übung des Bewussten Sterbens (Phowa) kennen, ist eine Sache gemein: Sie schauen unerschrocken in die Zukunft, denken an andere und sind Kraftspender für ihr Umfeld. Sie sind das stille Zentrum des Sturms, der angesichts eines bevorstehenden Todes meist über die Familie hereinbricht.“
* Wie ist die buddhistische Sicht über Sterben und Tod?
„Alles basiert auf dem Verständnis unseres wahren Wesens, der Natur unseres Geistes.“
„In Schule und Uni lernen wir, dass der Geist durch das Gehirn hergestellt wird. Das buddhistische Modell geht davon aus, dass das Gehirn nicht das Bewusstsein herstellt, sondern es umformt. Das Gehirn ist also das Radio, nicht der Sender.“
„Zu einer gewissen Zeit zerfällt allmählich der Körper mit dem Gehirn, was beim Sterben und im Tod der Fall ist. Auch wenn das Gerät kaputt ist, spielen die Radioprogramme weiter. Es verschwindet also nicht der gesamte Mensch, sondern nur seine materielle Erscheinung, all seine Eigenschaften bleiben erhalten. Der Tod ist ebenso wie die Geburt nur ein Übergang in einen anderen Bewusstseinszustand. Nach einem Zwischenzustand, in dem die am stärksten gespeicherten Eindrücke hochkommen, verbindet sich unser Bewusstsein mit einem dazu passenden neuen Körper und einer entsprechenden Welt.“
„Unser Geist jedoch, unser Gewahrsein, das alles erlebt, ist vergleichbar mit einem Spiegel, in dem die Bilder kommen und gehen, er selbst verändert sich aber nicht. Das bedeutet, dass unser Gewahrsein, dem alles entspringt, niemals hergestellt wurde und deshalb auch nicht sterben kann. Nur unsere Körper werden, weil zusammengesetzt, vergehen.“
* Du hast vorher eine „Übung des Bewussten Sterbens“ (Phowa) erwähnt. Was bringt sie beim Sterben und wo kann man so etwas lernen? Welche Eindrücke hast du da mitgenommen?
„Im tibetischen Buddhismus gibt es das sogenannte „Phowa“ oder „Bewusste Sterben“, das man im Sterben für sich selbst und auch für andere anwenden kann. Man nutzt den Augenblick , wenn der Geist sich vom Körper trennt, um entweder selbst von einem verwirrten Geisteszustand in einen klaren, befreiten zu kommen oder um anderen dabei zu helfen. Diese von Buddha vermittelte und bis heute von buddhistischen Lehrern übertragene Übung gilt als besonders kraftvoll.“
„Lama Ole hat diese Meditationsübung weltweit bereits über 80’000 Menschen gelehrt. Auch dieses Jahr finden wieder solche Kurse statt, zuletzt beim internationalen Sommerkurs im Europazentrum bei Immenstadt im Allgäu. In unseren Zentren erhält man Informationen, wie man sich auf die einwöchigen Kurse vorbereiten kann.“
„Ich selbst habe wiederholt an so einem Kurs teilgenommen. Die intensive Arbeit mit dem Geist, ausgerichtet auf ein befreiendes Kraftfeld, zusammen mit einem aussergewöhnlichen Lehrer, der einem ständig die fröhliche Frische und furchtlose Stabilität des Geistes spiegelt, vereint mit vielen übenden Freunden, ist für mich immer wieder eine begeisternde und tiefgehende Erfahrung.“
„Die fröhliche Arbeitsstimmung während der Kurse ist bekannt. Von innen her zeigen sich immer mehr natürliche Freude und Gelassenheit, die ansteckend wirken können. So haben oft selbst widrige Umstände wie eine vom Regen aufgeweichte „Zeltstadt“ keine Chance, die Stimmung zu kippen. Es scheint, dass sich einige innere Blockaden durch diese tief wirksame Meditation auflösen können.“
„Viele buddhistische Freunde sagen deswegen, es gäbe ein Leben vor dem Phowa und ein Leben danach.“